In der Gesellschaft spielen tradierte Rituale und allgemein übliche Umgangsformen eine wesentliche Rolle. Will man von der Gesellschaft akzeptiert werden, so muss man um diese wissen und sie auch pflegen. Ein, zumindest in Europa, wichtiges Ritual ist das Händeschütteln bei Begrüßung und Abschied, und manchmal auch zwischendurch, z.B. bei Geschäftsabschlüssen, Gratulationen und Ähnlichem.
Was sagt aber der „Blinden-Knigge“ in solchen Situationen?
Erfahrungsgemäß stellt das Händereichen zwischen blinden Menschen kein Problem dar, wird es zumeist mit einem Schnipsen der Finger oder verbal angekündigt, der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist aber eine hör- oder fühlbare Geste. Woher sollte ich sonst wissen, wo diese Hand ist? Beim Zusammentreffen von sehenden und nicht-sehenden Personen ist die Sache oft also etwas schwieriger. Zumeist streckt die sehende Person die Hand einfach aus und ist verwirrt, wenn diese nicht ergriffen wird. Noch schwieriger ist es, wenn viele sehende auf einen oder mehrere blinde Menschen treffen und bei dieser Gelegenheit „Hände verteilt“ werden sollen. Welche Hand gehört zu welcher Stimme? Wer streckt wem die Hand entgegen oder nicht?
Gleich vorweg: Eine allgemein übliche und gültige Regelung, oder gar eine schon lang gepflegte und tradierte Konvention gibt es nicht. Es bleibt dem Erfindungsreichtum und dem Selbstbewusstsein einer jeden einzelnen Person überlassen derartige Situationen zu bewältigen ohne das Gefühl zu haben sich schon wieder lächerlich gemacht zu haben. Daher geht jeder blinde Mensch mit diesem Thema anders um. Meine in langen Jahren entwickelte Strategie, wenn ich mit einer oder mehreren sehenden Person/en zusammentreffe und es ans Händeschütteln geht, ist folgende: Ich leite ich dieses Vorhaben mit den Worten ein: „Ich werde jetzt einige Hände verteilen.“ Es ist mir klar, dass ich mein Gegenüber damit überrumple und zwinge mir seine Hand auch zu reichen, so kann ich aber den Ball an ebendieses Gegenüber weiterreichen. Ist die Situation allerdings zu unübersichtlich so verzichte ich auf dieses Begrüßungs- und Abschiedsritual, da ich mich im Grunde damit auch nicht besser orientieren kann… 😉