Nach ausgiebiger Lektüre des Hygienehandbuches, welches Empfehlungen für elementare Bildungseinrichtungen und Schulen in Österreich enthält, bin ich klüger. Nachdem ich mir dieses Werk doch einige Male reinziehen musste, um es zu verstehen – und obwohl ich ein „Mensch mit besonderen Bedürfnissen“ bin – habe ich es verstanden, entgegen der offensichtlichen Annahme dieser Empfehlung. Ich kann es zwar noch nicht auswendig, bin aber knapp davor.
Ich bin zwar blind, sehe aber hinter jeder Zeile den erhobenen Zeigefinger der beteiligten Ministerien. Es lässt die Vermutung zu, dass die VerfasserInnen wenig Glauben an die Eigenverantwortung des jeweiligen Schulpersonals aufbringen können.
Wir würden aber nicht im „bevorschrifteten Lockdown-Österreich“ sein, um an derartige Auswüchse ministerialen Größenwahns gewohnt zu sein. Man gewöhnt sich an alles und alsbald wird das Ungewohnte, vormals unerhörte, zum Selbstverständlichen.
Inklusion lässt grüßen, von weit weit weg…
Dieses Hygienehandbuch ist wahrscheinlich in aller Eile ausformuliert worden und bedenkt alle Eventualitäten. Die oft herbeibeschworene, manchmal nur durch Lippenbekentnisse existierende Inklusion und die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung wird in diesem Handbuch sehr unzulänglich umgesetzt.
Und bevor jetzt die Aufmerksamkeit aller absinkt will ich zu meinen Kernbotschaften kommen:
Menschen mit „besonderen Bedürfnissen“
Wir leben im Jahr 2020. Im Jahr zwölf (12!!!) nach der Unterzeichnung Österreichs der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Wann kommt es in allen Köpfen an – auch wenn man über die Behinderten-Terminologie bestimmt trefflich streiten kann – dass Menschen mit einer Behinderung keine „besonderen Bedürfnisse“ haben. Welche besonderen Bedürfnisse sollten das denn sein? Ich muss essen, schlafen, auf die Toilette, will mich beruflich verwirklichen und möchte meine Freizeit so gestalten, wie ich das eben möchte. Alle Menschen ohne Behinderung, die diese Bedürfnisse nicht haben, heben nun bitte die Hand…
An Formulierungen kann man arbeiten
"Die in dem Handbuch definierten Hygienemaßnahmen in elementarpädagogischen Einrichtungen und Schulen basieren auf der Voraussetzung, dass diese von jenen Personen, die sie einhalten sollen, verstanden werden. Bei Kindern im Alter bis zu sechs Jahren, oder auch bei Kindern/Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen oder individuellen Schwierigkeiten kann nicht davon ausgegangen werden, dass all diese Maßnahmen umgesetzt werden können bzw. wird dies natürlich auch nicht von den zuständigen Pädagoginnen und Pädagogen verlangt."
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Hygienehandbuch zu COVID-19
Es ist doch eine arge Verallgemeinerung, dass alle Menschen mit besonderen Bedürfnissen das Ziel dieser Maßnahmen nicht nachvollziehen können.
„Weiters sollte insbesondere bei Kindern im Alter bis zu sechs Jahren und bei Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen/Schwierigkeiten aus fachlicher Perspektive reflektiert werden, wie sich das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes des pädagogischen Personals auf das Verhalten und die Entwicklung der Kinder/Jugendlichen auswirkt.“
Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung: Hygienehandbuch zu COVID-19
Immerhin: „Singen sollte unterlassen und Schreien vermieden werden.“
„Auf Atemhygiene achten!“ Zum Glück, atmen dürfen wir alle dann doch noch. Aber nur unter den vorgeschriebenen Bedingungen. Dass das auch klar ist! Und diese ewige Singerei und Schreierei an Österreichs Schulen führte immerhin schon zu internationalen Verwicklungen und hätte fast den 3. Weltkrieg ausgelöst. Aber jetzt ist Schluss damit! (Achtung: Sarkasmus)