Wenn Studenten in Lansing Hufgetrappel hören, dann naht Cali – das erste Pferd, das eine US-Hochschule besucht. Besitzerin Mona Ramouni kann nichts sehen und kommt mit dem Blindenpferd zur Uni. Cali erledigt den Job erstklassig, nur manchmal ist das Zwergpferd stur wie ein Esel.
Lansing – Mit wachsamen Augen unter zotteliger Mähne verfolgt Cali das Geschehen im Unterrichtsraum. Thema der Professorin vorn im Saal sind Theorien zur Psychotherapie. Plötzlich macht Cali, das kleine Pferd, durch lautes Schnauben auf sich aufmerksam. „Was ist denn deine Meinung, Cali?“, fragt Professorin Shelley Smithson scherzhaft.
Diese Frage überlässt Cali lieber ihrer Besitzerin Mona Ramouni, die von Geburt an blind ist. Cali ist eines von ganz wenigen Zwerg-Pferden, die Blinden als Leittiere dienen – und es ist sicher das erste Pferd in den USA, das die Universität besucht. An der University of Michigan in Lansing studiert Ramouni mit Calis Hilfe Reha-Therapie. Seit drei Monaten hallt Calis Hufschlag durch Gänge und Vorlesungssäle der Hochschule, noch immer erregt das ungewohnte Gespann viel Aufmerksamkeit. Studenten drehen ihre Köpfe und zücken das Foto-Handy für Schnappschüsse. Manche fragen Ramouni entgeistert: „Ist das ein Pferd?“ Die blinde Studentin hat sich vorgenommen, auf solche Fragen mit Geduld zu reagieren: „Normalerweise reagiere ich nett, weil man die Leute einfach auch ein bisschen erziehen muss.“
Cali erfüllt eine Aufgabe, die normalerweise von Hunden ausgeführt wird: Blindenhunde haben sich seit langem als treue Helfer von Sehbehinderten bewährt. Für die Muslimin Ramouni gab es da ein Problem: Im islamischen Kulturkreis gelten Hunde traditionell als unrein, und ihre aus Jordanien stammenden Eltern konnten sich mit den Tieren nie anfreunden.
Das Pferd kommt auch mit ins Auto oder in den Bus
Also kam Mona Ramouni die Idee mit dem Pferd. Vor zwei Jahren hat sie Cali gekauft, ein halbes Jahr lang wurde das Pferd von einem Trainer auf die neue Aufgabe vorbereitet. Bis vor kurzem lebte Mona Ramouni mit dem Tier im Haus ihrer Eltern, der Umzug an die Universität war ein großer Sprung. Ohne Cali, glaubt sie, wäre der Schritt in die Unabhängigkeit nie gelungen. „Es ist so ein anderes Leben“, sagt sie. „Zuhause ist es doch so, dass einen die Eltern immer als Kind behandeln, egal wie alt man ist.“
An der Uni gab es zunächst Bedenken wegen des Blindenpferdes. Ist das Tier sauber genug, lenkt es die anderen Studenten vielleicht vom Studium ab? Die Befürchtungen waren unbegründet. Cali hat sich gut
eingelebt, das Pferd versteht sich sogar mit dem Blindenhund Harper, der einem Kommilitonen gehört. Professorin Smithson ist beeindruckt: Cali und ihre Besitzerin seien „ein tolles Beispiel dafür, was Studenten alles leisten können, um ihre Ziele im Leben zu erreichen“. In der Tat muss Mona Ramouni einiges leisten, denn ein Blindenpferd erfordert Pflege. Schwere Säcke mit Futter müssen gestemmt werden, die Mähne muss sauber bleiben, die Hufen müssen gereinigt werden. Dafür hat das 45 Kilo schwere Zwergpferd Cali inzwischen viel gelernt: Es klopft mit der Hufe, um auf Hindernisse im Weg hinzuweisen. Es steigt in Autos und Busse ein und aus. Es liest mit den Zähnen Gegenstände auf, die zu Boden gefallen sind.
Während Blindenhunde oft nur sechs bis acht Jahre im Einsatz sind, können Blindenpferde bis zu 30 Jahre genutzt werden. Die langfristige Dressur dürfte sich also lohnen. Mona Ramouni und Cali erleben auch nach zwei Jahren immer wieder Neues – etwa wie kürzlich, als Ramouni den Trinknapf vergaß und Cali in der Vorlesungspause aus dem Waschbecken trinken musste. Das Pferd, hat die Studentin herausgefunden, besitzt eine ausgeprägten eigenen Willen: „Wenn sie etwas tun will, dann tut sie es. Wenn sie etwas nicht tun will, dann kann sie stur wie ein Esel sein.“
von Mira Oberman, AFP