Es ist nunmal so, dass dem Menschen, behindert oder nicht, nur eine bestimmte Zeitspanne Leben zur Verfügung steht. Es gibt auch keine Garantie auf dieses Geschenk Leben. Dies sei als Anmerkung meinen Zeilen vorangestellt. Mein Name ist seit 41 Jahren Harald Fiedler, und ich bin praktisch blind. Das bedeutet dass ich zwar noch über einen minimalen Sehrest verfüge, mit diesem aber de facto nichts mehr anfangen kann. Dieser Umstand war in meiner „Sturm und Drang“-Zeit oft ziemlich störend, da ich mich damals lediglich über meine Behinderung definierte und mich nur als „behindert“ wahrnahm.
Glückliche Umstände und mein lebensbejahendes Naturell haben meine Selbstfindung beschleunigt, mir die Kraft gegeben mich zuallererst als Mensch wahrzunehmen, der auch behindert ist. Dadurch konnte ich die Welt, im Kleinen und auch im Großen, jeden Tag neu entdecken. Meine beiden Augenerkrankungen Retinitis Pigmentosa und Makuladegenerationhaben es mit sich gebracht, dass ich als junges Kind noch besser sehen konnte, zwar auch nur mit Sehhilfen und auch keine Farben, aber immerhin lief ich nicht gegen Türen oder war auf den Blindenstock angewiesen. Eine dieser Sehhilfen war ein Lesegerät, dass aus einem Kamerateil und einem Monitor bestand. Nun konnte ich lange Jahre mit diesem Gerät lesen, lernen und auch arbeiten. Ich habe mich auch mit Augentropfen, die meine Pupille erweiterten und mir dadurch einige Prozent meines Sehvermögens wieder zurückgaben, gequält um das unvermeidliche möglichst lange hinauszuzögern.
Eines Tages, als ich eine viertel Stunde brauchte um eine Zeile Textes am Monitor lesen zu können, beschloss ich dieses Gerät nie wieder einzuschalten. In mir war dieser Entschluss wie eine Befreiung von einem Zwang. Es gibt nie nur eine Möglichkeit und immer Alternativen! Es liegt an uns, diese auch sehen zu wollen oder danach zu suchen. Dies bedingt jedoch, dass man sich der eigenen Situation bewusst wird, die Zeit zur Veränderung gekommen sieht und vor allem die Kraft (und Unterstützung) hat neue Wege zu gehen.
Ich bin zwar praktisch blind, arbeite aber trotzdem in einem Krankenhaus in der Buchhaltung. Dies ist mittels Scanner samt Texterkennungssoftware, einem PC mit Sprachausgabe und etwas Kreativität bei der Bewältigung meiner täglichen Aufgaben super möglich. Dieser Grad der Inklusion ist aber nur mit aufgeschlossenen KollegInnen realisierbar, die meinen Wunsch zur Selbstbestimmung mittragen. Es ist nun ein Phänomen, nicht nur unserer Zeit, dass viele Kinder mit einer oder mehreren Behinderung/en fernab von jeglicher elterlicher Förderung oder Forderung heranwachsen. Zwar oft geliebt und akzeptiert, aber leider kaum zur Selbstständigkeit oder Eigenverantwortung erzogen und das ist ja der Grundstock für ein selbstbestimmtes Leben. Nichts kann Eltern auf die Herausforderung ein behindertes Kind großzuziehen vorbereiten. Aber ein aufgeschlossenes persönliches Umfeld und die mediale Präsenz des Themas Behinderung würde ihnen ihre Aufgabe mit Sicherheit wesentlich erleichtern. Und damit schlussendlich auch den Kindern mit Behinderung den Mut zur Selbstbestimmung geben.